++++ 2023-07-20 ++++
Eine beschädigte Oberleitung und das Versagen der DB im
Allgemeinen, der DB Netze und des
Landrates
Ein Sturm über dem Westteil des Bodensees zeigte wie in einem Brennglas die aktuellen
Probleme der DB im Allgemeinen, ihrer Tochter DB Netze, wie auch den
Stellenwert des Bahnverkehrs in Deutschland.
Der Reihe nach: am späten Abend des 11.7.2023 fegte ein schwerer Sturm über den westlichen Bodensee
(Untersee). Hierbei wurde (wieder einmal) die Bahnlinie zwischen Radolfzell und Konstanz durch eine beschädigte Oberleitung lahmgelegt.
Für Kenner der Szenerie war klar, dass erneut der Bereich zwischen Markelfingen und Allensbach im Bereich Lohorn betroffen war.
In diesem Teil der Strecke liegt zwischen See und Bahnlinie ein
schmaler Geländestreifen, der mit Bäumen und Sträuchern dicht
bewachsen ist. Der Sturm traf hier, von der freien Wasserfläche
kommend, wieder auf Land und auf eine mehr oder weniger wild
wuchernde Vegetation direkt neben der Bahnlinie.
In der Vergangenheit kam es bei Sturmereignissen an dieser Stelle
immer wieder zu umgefallenen Bäumen und zu Schäden an der Oberleitung.
Bäume mit Höhen von bis zu 25 Metern stehen in diesem Bereich bis unmittelbar an die Bahnlinie.
Bei Tagesanbruch bestätigte sich die Vermutung: neben
verwehten Ästen und umgefallenen Bäumen (neben der Bahnlinie) war an einer Stelle ein Baum in die Oberleitung gefallen
(siehe Bild rechts).
Wer nun auf eine schnelle Schadensbehebung hoffte, wurde enttäuscht:
am ersten Tag war gespenstische Ruhe es geschah an der Strecke bis zum Abend rein gar nichts.
Ein erstes Fahrzeug machte dann am Abend eine erste Inspektionsfahrt auf dem intakten, landseitigen Gleis
und fuhr gen Konstanz (siehe Bild rechts unten).
Erst im Laufe des zweiten Tages nach dem Sturmereignis kam der eigentliche
Reparaturtriebwagen und begann mit der Reparatur der Oberleitung.
Warum erst 40 Stunden nach dem Sturmereignis ein passendes Fahrzeug
(eisenbahndeutsch: "Hubarbeitsbühnen-Instandhaltungsfahrzeug für Oberleitungsanlagen
der Baureihe 711") und der zugehörige Reparaturtrupp die Arbeit
aufnahm, lag vor allem an der Überfuhr von Freiburg her und einem
ebenfalls zu reparierenden Oberleitungsschaden an der Höllentalbahn.
Es gibt nicht viele von diesen speziellen Arbeitsgräten in
Deutschland, DB Netze ist von den Kapazitäten her auf Kante genäht, die Anfahrten sind weit und von Stuttgart
her sind sie noch
weiter, erst recht wenn, wie aktuell, die Gäubahn gesperrt ist.
Und dann gibt es
in Deutschland noch das an sich gut gemeinte Arbeitszeitschutzgesetz, dass spätestens nach
zehn
Stunden Arbeitsende sein muss.
Elf
Stunden Ruhezeit sind danach gesetzlich Plicht. Daher muss nach langer
Anfahrt (auch diese zählt als Arbeitszeit) auch bei Notlagen oder bei
Weltuntergang bis zum nächsten Morgen
gewartet werden bis es weiter geht.
DB Fernverkehr hat übrigens bei der Gelegenheit seine Züge an den Bodensee dann gleich
einkassiert. In Radolfzell wollte oder konnte man diese
nicht enden lassen, das nahe Singen war auch nicht genehm, also hat man den
Fernverkehr bereits in Karlsruhe gebrochen.
Klarer kann man seine
Unlust einen Bahnbetrieb am Laufen zu halten nicht zum Ausdruck
bringen.
Dass sich die Sperrung in Summe dann fast eine Woche hinzog, war dem eher
spärlichen Personaleinsatz von DB Netz, einer noch erforderlichen
Sicherung des Rest-Waldes und dem dazwischen liegenden Wochenende
geschuldet.
Zur Erinnerung: Nur an einer Stelle war ein Baum tatsächlich in der
Oberleitung gelandet und hat diese beschädigt.
Der eingerichtete
Schienenersatzverkehr (SEV) war die nächste Blamage. Am Morgen
nach dem Schadensereignis: Null SEV.
Nirgends waren Busse und Fahrer
herzubekommen. Das wenige an Buskapazität im Ländle war bei einer
S21-Baustelle in Stuttgart fest gebunden und so kam
erst am Tag zwei ein mehr als dürftiger SEV in Gang, der diesen
Namen gar nicht verdient hat.
Jeden Tag waren tausende Fahrgäste
aufgeschmissen, da auch nach Tagen kein richtiger SEV zustande
kam, weil keine Busse und keine Fahrer aufzutreiben waren.
Gedankenexperiment: Wie lange hätte ein vergleichbares Schadensereignis bei
einer Bundesstrasse wie der B33 gedauert ?
Nach zwei Stunden wäre diese wieder
einspurig befahrbar gewesen, nach weiteren zwei Stunden wäre der
Landrat erschienen und hätte gefragt, warum es hier
nicht vorangeht und spätestens am Tag darauf wäre der Verkehr wieder
normal geflossen.
A'propos Landrat: Dieser hat sich, als der Spuk endlich vorbei war,
dann doch noch gemeldet. Er werde jetzt mit DB Netze reden, dass
diese sich jetzt endlich um das Vegatationsmanagement kümmere und so
etwas nicht mehr vorkomme (Meldung Südkurier vom
19.07.2023).
Im Übrigen wird mit diesem kurzzeitigen Aktionismus der
örtlichen Politik das eigene Versagen und
die eigene Wurstigkeit verdeckt:
der SEV ist bei jeder ungeplanten Streckensperrung
aufs Neue ein Drama, der SEV setzt viel zu spät ein und es ist viel zu
wenig an Kapazität da.
Immerhin ist die Strecke Konstanz- Singen das Rückgrat des öffentlichen
Personennahverkehrs im Landkreis Konstanz und wird täglich von
tausenden Fahrgästen genutzt.
Längst hätte der Landkreis aufgrund der gesammelten schlechten
Erfahrungen das
Heft für einen Plan B in die Hand nehmen müssen, für den Fall, dass die DB (wieder
einmal) versagt.
Es gibt keine Notfallpläne, aber es gibt mehrere Stadtwerke und
Verkehrsbetriebe im
Landkreis, die in Summe über 100 Busse täglich im Einsatz haben. Es
sollte möglich sein seitens des Landkreises, Massnahmen zur Bereitstellung
von Kapazitäten zu treffen, auch um den Preis der temporären Ausdünnung
einzelner Stadtbuslinien im Ereignisfall.
Solch eine Vorsorge
erfordert speditives, proaktives Handeln und Verhandeln und umsonst wird es auch
nicht sein. Und es braucht vor allem einen (politischen) Willen die
zu tun.
Aber man steht dann bei einem plötzlichen Notfall und dem erneuten und
erwartbaren Versagen der DB nicht wieder mit leeren Händen da.
Es gäbe noch viel mehr zu tun, beispielsweise wenn der nächste Baum
zur Abwechslung zwischen
Radolfzell und Singen auf die Oberleitung fällt, dann steht auch
Konstanz- Radolfzell, wie in der Vergangenheit schon geschehen.
Weil die Oberleitung aus Singen in Richtung Konstanz gespeist wird, ist ein
Inselbetrieb Konstanz - Radolfzell dann nicht möglich. Eine
Speisemöglichkeit der Oberleitung aus der Schweiz via Konstanz gibt es
derzeit nicht.
Auch hier benötigt es proaktives Handeln. So etwas muss im Vorfeld mit der
Schweiz geklärt und
verhandelt werden und die technischen und organisatorischen
Voraussetzungen müssen geschaffen werden, so dass im Notfall via Konstanz/ Kreuzlingen
eingespeist werden kann.
Selbst zu einfachsten Massnahmen war man seitens des Landkreises
während des einwöchigen Stillstandes nicht in der Lage:
Der
Schienenersatzverkehr stand vor Allensbach morgens in einem langen Stau, denn die
jetzt noch zahlreicheren B33- Stauumfahrer stauten sich am
westlichen Allensbacher Ortseingang auf hunderten von Metern.
In der
Schweiz hätten Verkehrskadetten die Strecke für den
Schienenersatzverkehr freigehalten und die Autofahrer dorthin
zurückgeschickt, wo sie hergekommen waren: zur B33. Im Autoland
Deutschland ein Sakrileg.
|
Glück im Unglück. Fast immer ging es wie hier glimpflich ab - gut sichtbar der schmale Streifen zwischen dem Bodensee
(Untersee) und der
Bahnlinie - im Hintergrund der Schweizer Seerücken bei Ermatingen.
Nach dem Sturm die einzige wirkliche Problemstelle zwischen Allensbach und Markelfingen, an welcher ein Baum tatsächlich in der Oberleitung
hing - am Ende dauerte die Sperrung eine Woche !
Ein verwehter Ast, ebenfalls harmlos.
Aber die Stelle mit Blickrichtung Konstanz zeigt, wie hoch die Vegetation
direkt an der Bahnlinie steht - von Vegetationsmanagement (DB
Netze Neusprech) und Rückschnitt keine Spur.
Der nächste
Oberleitungsschaden kommt damit so sicher wie das Amen in der
Kirche.
Sehr abenteuerlich, fast schon verzweifelt, waren die Empfehlungen
der Fahrplanauskunft wie man die wenigen Kilometer
von Allensbach nach Radolfzell zurücklegen sollte.
Eine ersatzweise anzutretende Seefahrt auf dem Untersee ist bekanntlich lustig, aber nicht dann, wenn man zur Arbeit muss oder einen unaufschiebbaren Termin hat.
Die knapp 10 Kilometer Entfernung wären in diesem Fall
schneller zu Fuss zurückgelegt gewesen.
Erst am Tag zwei nach dem Oberleitungsschaden wurde begonnen diesen
zu reparieren.
Im Bild ein Reparaturtriebwagen der DB vom Tag zwei (13.07.2023) morgens
um vierte nach acht am Bahnhof Reichenau,
etliche
Kilometer vom Ereignisort entfernt.
Der unbesetzte Triebwagen stand
noch vom Vorabend her, von der Besatzung war weit und breit nichts zu sehen.
Das Fahrzeug der DB- Baureihe 708 ist übrigens ein Kind der DDR aus den späten 1980ern - ein in Görlitz gebauter Reparaturtriebwagen
(ehemals Baureihe 188.3)
|